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Leserbriefe

 

 

Leserbrief, Thema: Parteispendenaffäre

Adressat: „Süddeutsche Zeitung“
Betreff: SZ Nr. 5 vom 08./09. Januar 2000 „Schäuble am Scheideweg“/

Hans Werner Kilz

 

Hans-Werner Kilz vergleicht in seinem Leitartikel den CDU-Vorsitzenden Wolfgang Schäuble mit Shakespeares Antonius im Drama „Julius Caesar“ (= Kohl); Heiner Geißler ist Brutus. Der Vergleich hinkt auf der ganzen Linie.

Erstens habe ich von Schäuble noch nie eine so tolle Rede gehört, wie sie Antonius an der Bahre Cäsars hält.

Zweitens hat Shakespeares Cäsar, so Antonius, viele (betuchte) Gefangene nach Rom geschleppt, deren Lösegelder die öffentlichen Kassen füllten. Glückliches Rom! In unseren öffentlichen Kassen herrscht Ebbe. Zwar zahlen die Global Players in vorauseilendem Gehorsam ebenfalls Lösegelder, aber halt leider nicht in die öffentlichen Kassen, sondern in die Parteikassen. In den Verliesen der Republik schmachten dann die Politiker als Geiseln der Shareholders und hüllen sich fröstelnd in ihre Stickjacken, denn die nächsten Wahlen kommen bestimmt.

Drittens findet bei uns der Bürgerkrieg, zu dem Antonius die Plebejer Roms aufstachelt, nur in den Leserbriefspalten der „Süddeutschen Zeitung“ statt, gottlob unblutig.

Viertens erübrigt sich somit, dass sich der edle Geißler-Brutus bei Philippi ins eigene Schwert stürzt, das ihm ein hilfsbereiter Kollege hinhält. Ohnehin hat Geißler-Brutus immer lieber Berggipfel als amtierende Tyrannen bezwungen.

Kilz ist, so meine ich, Cassius; also der Typ, von dem Cäsar-Kohl so verdrießlich sagt: „Er denkt zu viel; die Männer sind gefährlich!“

Bei Shakespeare treten außerdem vier Plebejer (sehr wankelmütig!) in kleinen Sprechrollen auf. Ich geselle mich zu ihnen und spreche einen zeitgenössischen Epilog, zu dem Richard Rorty, amerikanischer Philosoph und politischer Schriftsteller, den Text schrieb;

„Selbst wenn der typische Charakter der Menschen in liberalen Demokratien tatsächlich fade, berechnend, kleinlich und unheroisch sein sollte, kann die Vorherrschaft solcher Personen dennoch ein angemessener Preis sein für die politische Freiheit.“

So ist es! Und damit müssen wir leben.

Hildegard Geisberger, 09.01.2000

Veröffentlicht in der SZ vom 15./16. Januar 2000