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Leserbriefe

 

 

Leserbrief, Thema: Cohn-Bendit und die sexuelle Selbstverwirklichung

Adressat: "Süddeutsche Zeitung"

Betreff: „Zeiten ändern dich“ SZ 10.05.2013



Wenn Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, darauf verzichtet, die Laudatio zur Preisverleihung für Herrn Cohn-Bendit zu halten und von seinem Sprecher mitteilen lässt, Cohn-Bendit habe sich in seinem Buch „Der große Basar“ „in nicht unproblematischer Weise zur Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern geäußert“ – dann ist das sehr gelinde, sehr vorsichtig ausgedrückt. Herr Nico Fried kann das nicht mit dem „Zeitgeist“ der Siebziger Jahre schönreden. Wir können ja heute auch nicht die Hexenjagden, die Inquisition, die Ketzerverfolgung, die schrecklichen Verbrechen, die im Namen der politischen „Idealismen“ des 20. Jahrhunderts begangen wurden,  damit abtun, dass wir lässig sagen „Zeiten ändern dich“. Hybris bleibt Hybris. Über die Zeiten hinweg. Als „Hybris“ bezeichneten die Griechen der Antike jede Art von Verhalten gegen andere, das sich nur nach dem eigenen Willen richtet und die Rechte anderer verletzt. Wenn die Grünen in der Gründerzeit  in ihren Reihen Männer duldeten, die Pädophilie als Variante sexueller Selbstverwirklichung geduldet und straffrei gesetzt sehen wollten, ungeachtet der Verheerungen, die das bei Kindern anrichtet, also Hybris pur, dann sollte sich diese Partei schämen. Auch wenn sie heute die „Idee Europa“ auf ihr Fähnchen gestickt hat und jeden Rettungsschirm brav absegnet.  Herr Fried versäumt es nicht, seinen Kotau vor dem Grünen-Politiker Cohn-Bendit zu machen. Schließlich ist Herr Cohn-Bendit  heute Fraktionschef im Europäischen Parlament, gar „einer der überzeugtesten Europäer“, „noch dazu als einer, der darüber mitreißend reden kann“.  Nun ja, mitreißend reden,  gar mitreißend schreiben – das konnte Herr Cohn-Bendit gewiss schon AD 1975, als er das Kapitel „Little Big Men“ schrieb, in dem er über seine Erfahrungen als Betreuer in einem Kinderladen an der Universität Frankfurt meditiert. Heute sagt er, man sei sich damals des Problems des Kindesmissbrauchs „noch nicht bewusst gewesen“. Ach, wirklich? Gab es damals keinen Kindesmissbrauch? Ich gehöre zur gleichen Generation wie Herr Cohn-Bendit. Wie kommt es denn dann, dass so viele Menschen seiner und meiner Generation, Männer und Frauen, noch heute an den Folgen des Missbrauchs leiden?  Kommt es daher, dass sie, die Täter, nicht wussten, was sie tun? Sie wussten es. 

Hildegard Geisberger
10. Mai 2013