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Leserbriefe

 

 

Leserbrief, Thema: Familienpolitik CSU

Adressat: „Süddeutsche Zeitung“
Betreff: SZ Nr. 84 vom 10.04.2001, „Zwischen Windeln und Karriere“

 

 

Mir kamen fast die Tränen, als ich las, dass Herr Stoiber, dank akademischer Tochter Constanze zum Großvater befördert, sozusagen als Spätfolge dieses privaten Ereignisses die Augen aufgegangen sein sollen hinsichtlich der desolaten Versorgung Bayerns mit Ganztagesbetreuung für Kinder berufstätiger Mütter.

Sollte der alerte Herr Stoiber tatsächlich so lange auf der Leitung gestanden haben?
Ja, was soll ich denn da von der zukunftgestaltenden Weitsicht unserer christsozialen Politiker halten, wenn es erst intimer familiärer Anstöße bedarf, um das widrige Ganze „draußen im Lande“ in den Blick zu bekommen? Dabei hätte Opa Stoiber doch locker Tochter Constanze zur Taufe des Enkelchens eine türkische Kinderfrau schenken können! Wenn Herr Stoiber früher mal seine Putzfrau oder Schreibkraft gefragt hätte, wie sie Mutterschaft und Beruf zusammenbringen, hätte er nicht bis zum Großvateralter warten müssen, um zu wittern, was seit Jahrzehnten zum Himmel stinkt.

Ich wünsche den jungen Frauen alles Gute, die Kind und Beruf wollen, ohne dabei physisch und psychisch vor die Hunde zu gehen. Die Frauen meiner Generation (Jahrgänge 1940 plus) fielen voll in das schwarze Loch christdemokratischer Heuchelei in Verbindung mit der Haus- und Herd-Ideologie politischer Geronten patriarchalischen Zuschnitts, die in der Nazizeit sozialisiert worden waren.

Die Erben dieser „Familienpolitik“ führen sich heute auf, als seien geringe Reproduktionsraten ein Naturereignis oder dem Eigensinn egoistischer Karrierefrauen zuzuschreiben. Und sie schämen sich nicht, so unsäglich dumme Sprüche vom Kaliber „Kinder statt Inder“ zu klopfen.

Hildegard Geisberger

10 April 2001

Nachtrag am 1. April 2011: Inzwischen hat sich einiges bewegt. „Windeln und Karriere“ also kein Problem mehr? So optimistisch bin ich nicht.