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Leserbriefe

 

 

Leserbrief, Thema: Multikulturalismus

Adressatin: Frau Chong-Sook Kang, Migrationsexpertin, Ausländerbeauftragte Stadt München. c/o Südd. Verlag, Leserbriefredaktion Lokalteil
Betreff: Artikel in der SZ Nr. 278 vom 02.12.1998


Sehr geehrte Frau Kang,

 

Ihre Stellungnahme zur Integration Fremder habe ich mit Interesse gelesen.

Ich gehörte Ihrer Definition nach wohl zu den Menschen, die bei Ihnen in die wenig liebenswürdige Kategorie der „Unsicheren“ mit „diffusen Ängsten vor dem Ideellen“ fallen.

Bin ich schon „unsicher“ und damit potentiell fremdenfeindlich, wenn es mich stört, dass türkische Lehrer im Sonderunterricht ihre Schüler zu Rassismus und Nationalismus erziehen (SZ 21./22.11.98, Wolfgang Koydl „Die schönste der Fahnen, wie unser Blut so rot)? Ich war in einem Großbetrieb der chemischen Industrie für die Ausbildung junger Menschen verantwortlich. Hätte ich Rassismus gepredigt, dann wäre das sehr bald der Personalabteilung aufgefallen und ich wäre geflogen. Und das mit vollem Recht, meine ich.

Ist türkischer Rassismus respektabler als deutscher oder französischer oder amerikanischer?

Ist es unbillig, wenn ich mir wünsche, ausländische Mütter, die seit 20 Jahren in Deutschland leben und hier Kinder erziehen, möchten die deutsche Sprache beherrschen, ehe sie ihr Wahlrecht in Deutschland wahrnehmen?

Oder fällt das bereits in die Kategorie „Assimilation“, in ihren Augen eine gefährliche Denkweise? Heißt es seine „kulturelle Eigenart angstfrei ausleben“, wenn Minderheiten politische Missstände ihrer Herkunftsländer in Deutschland oder anderswo mit Gewalttaten kritisieren? Sie rühren, wie mir scheint, Extremisten, Behinderte und Homosexuelle in einen Einheitsbrei, der den Problemen der Integration ebenso wenig gerecht wird wie Ihre pauschalen Aussagen zum „Ideellen“.

Integration gelingt, wenn sich in den Köpfen der Menschen etwas ändert, bei den Deutschen, aber auch bei den Ausländern, die hier leben. Das Insistieren auf dem „Anderen“ und seine Konservierung in der Andersheit ist ein gleichgültiger und kleinmütiger Multikulturalismus und eben nicht Engagement für die Integration. Der Kult der Eigenheiten , dem Sie das Wort reden, ist eine naive Unterschätzung der Voraussetzungen und der Ideale, die den Einwohnern des Landes, in dem Sie und ich leben, in den vergangenen 50 Jahren ein Leben in Freiheit und sozialer Sicherheit ermöglichten. Für die Tatsache, dass nicht alles gleichgültig, besser gesagt: gleich gültig ist, sprechen die Gründe, die Migranten veranlassen, ihre Heimat zu fliehen und hier und anderswo ein Leben zu versuchen.

Mit freundlichen Grüßen, Hildegard Geisberger, 4. Dezember 1998

Nachtrag am 1. April 2011: Keine Antwort erhalten.